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Linda Klösel  /  Editorial  /  Version 5

Der Kniefall wird zum Symbol der Black Lives Matter-Bewegung, als der NLF Football-Spieler Colin Kaepernick sich im August 2016 nicht für die Nationalhymne erhebt, sondern sich stattdessen niederkniet. Damals wurden viele Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze bekannt: Trayvon Martin 2012, Eric Garner, Michael Brown, Tamir Rice 2014 und kurz vor Beginn der NFL-Saison 2016 Philando Castile. Und zu dieser Zeit tauchte auch der Hashtag #blacklivesmatter zum ersten Mal auf. Viele Fans und Medien wie Fox-News hetzten in Berichten und Tweets gegen den Quarterback der 48er, Trump – damals im Wahlkampf – beschimpfte ihn als „Hurensohn“ und forderte seine Entlassung. Und tatsächlich blieb das einstige Super-Talent Kaepernick bis heute ohne Team.
Doch während die einen in dieser Geste fehlenden Respekt vor ihrer nationalen Ehre sehen und mit irrationaler Wut reagieren, wird sie für die anderen binnen kurzer Zeit zum Zeichen einer Protestbewegung, der sich schnell Tausende anschließen: Der Kniefall („to take the knee“) wird zum Symbol des Protests gegen Rassismus und Unterdrückung. An sich ist dieser Kniefall eine paradoxe Intervention, denn wer auf die Knie geht, zeigt Demut und Ehrfurcht, wer aber aus Protest auf die Knie geht, entwaffnet seine Gegner, nimmt die Provokation nicht an und spielt den Ball zurück. Colin Kaepernick ist übrigens nicht der erste, der den Kniefall im Kampf für die Rechte der Schwarzen einsetzte. Martin Luther King und sein Mitstreiter Ralph Abernaty protestieren kniend bei einer Kundgebung von Bürger-rechtsaktivist*innen am 1. Februar 1965 in Selma (Alabama). Der Protest richtete sich gegen die Festnahme von rund 250 Schwarzen in Dallas, die für ihr Wahlrecht demonstriert hatten. 
Die Tötung des unbewaffneten George Floyd durch brutale Polizeigewalt 2020 löste nicht nur in den USA heftige Reaktionen und Proteste aus. In ungezählten Städten auf allen Kontinenten kamen während und trotz Corona Hunderttausende zusammen, um gegen systemischen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Die Pandemie hat uns verdeutlicht, wie fragil unsere Gesellschaftsordnungen und Wertvorstellungen sind. Gerade die trifft sie am härtesten, die unter der globalkapitalistischen Ausbeutung am meisten zu leiden haben. Unsere Gesellschaften sind zutiefst gespalten, nicht nur in den USA, und bereiten den Boden für zunehmend autoritäre Strukturen, die unsere Grundrechtsordnung in Frage stellen. 
VERSION05 greift einige dieser Themen und Auseinandersetzungen auf. Yvan Sagnet berichtet über die Situation der Erntearbeiter in Süditalien und seine aktivistische Arbeit gegen die Ausbeutungsstrategien der globalen Lebensmittelkonzerne und auch über seine Rolle als schwarzer Jesus im Film Das Neue Evangelium von Milo Rau. Anna Witt stellt ihr Projekt Sprich mit mir! Grundrechte vor, für das sie Gespräche mit 50 Chemnizer*innen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit den Grundrechten geführt hat. Wir geben einen Einblick in die Arbeit Triple-Chaser von Forensic Architecture und die Verknüpfungen der Waffenindustrie mit dem internationalen Kunstmarkt. Auf der Mittelseite präsentieren wir eine Fotoarbeit der jungen iranischen Künstlerin Anahita Asadifar. In einer Gemeinschaftarbeit mit Kris Lemsalu und Kyp Malone schreibt Thomas Brandstätter über den Brauch, den Papst, die Heiligen, die Hagiographen, das Staatoberhaupt und die Soldaten. Im Interview mit Martin Brandlmayr berichtet dieser über die Hintergründe seiner musikalischen Arbeit und seine zahlreichen Kooperationen. Die bolivianische Aktivistin María Galindo berichtet über die anarcho-feministische Bewegung der Mujeres Creando und ihr Verhältnis zur Kunst. Wir stellen die Arbeit von Barbara Kapusta vor und ihre Auseinandersetzung damit, wie die Auflösung starrer Denkmodelle Gesellschaft verändern könnte. Bernhard Cella erläutert das Konzept hinter dem Salon für Kunstbuch.