KUNST WISSEN INTERVENTION
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Linda Klösel  /  Editorial  /  Version 3

Politische Kunst ist heute allgegenwärtig. Sie gewinnt vor allem durch die Ereignisse der letzten Jahre international immer mehr an Bedeutung. Die aktuellen Krisen politisieren KünstlerInnen auf der ganzen Welt in zunehmendem Maße. Nicht nur der geschützte und staatlich subventionierte Bereich der Museen, Theater und Kunstvereine oder die von Global Playern gesponserten Großausstellungen oder Biennalen wenden sich politischen Themen zu. KünstlerInnen entwickeln auch außerhalb des Kunstbetriebs unterschiedliche Strategien, um in politische Prozesse eingreifen zu können. Doch was ist überhaupt politische Kunst, und in welchem Verhältnis stehen Kunst und Politik? In libertären Gesellschaften ist kritische Kunst längst zu einem Statussymbol der Mächtigen und Reichen geworden, um die Souveränität und Aufgeklärtheit derjenigen zu demonstrieren, die sich mit ihr umgeben. Aber welche Rolle spielt widerständige Kunst in autoritären Gesellschaften?

In VERSION Nr. 3 stellen wir einige Strategien und Organisationsstrukturen vor, die zeigen, dass das Feld politischer Kunst nicht unter einheitlichen Kategorien gefasst werden kann. Ihre Ansätze sind so divers wie die Themen: engagiertes Eingreifen, Aktivismus, analysierende Kritik, basisdemokratische Solidarität, unbeirrtes Einzelkämpfertum, oder sensible Ästhetik. Der französische Philosoph Jacques Rancière beschreibt die Bedeutung politischer Kunst als Spannungsverhältnis zwischen zwei „Widerständen“. Sie sei der „Widerstand des Steines (der Rückzug aus dem Leben ins Ästhetische) und der emanzipatorische Widerstand (das Eingreifen der Kunst ins Politische)“. Er fordert: „Damit der Widerstand der Kunst nicht in seinem Gegenteil verschwindet, muss er die ungelöste Spannung zwischen zwei Widerständen bleiben.“

In der vorliegenden Ausgabe führen wir ein Gespräch mit Selma Ouissi, die mit ihrem Bruder Sofiane Ouissi nicht nur mit ihren Tanzperformances, sondern auch mit ihren politischen und sozialen Projekten in Tunis Aufmerksamkeit erregten. Mit Ensemblemitgliedern des Gorki Theaters in Berlin sprachen wir über das „postmigrantische“ Theater, das sich dezidiert einer sich wandelnden modernen Gesellschaft verschreibt und sich als geförderte Institution bewusst politisch deklariert. Mit Stop and Go – Nodes of Transformation and Transition stellen wir ein Forschungsprojekt von Michael Hieslmayr und Michael Zinganell vor, das die Knoten transnationaler Mobilität und Migration entlang der bedeutendsten trans- europäischen Verkehrskorridore, der sog. Balkanroute untersucht. Cana Bilir- Meier und Belit Sağ sprechen über die Bedingungen dokumentarischen Filmens, politischen Aktivismus, die Bedeutung von Archiven, über Vereinnahmung und die Wirkweisen von Bildern. Oliver Ressler bereichert diese Ausgabe mit seinem Beitrag The Economy ist wounded: Let it die! Soma Ahmad stellt emanzipatorische Frauenbewegungen im Nahen Osten und in Nordafrika vor, ein für uns wichtiger Beitrag, mit dem wir die engagierten Aktivitäten muslimischer Frauen sichtbar machen wollen. Friedericke Mayröcker beschenkt uns mit einem extra für diese Ausgabe verfassten Text. Unter dem Titel Aufnahme stellen Hans Groiss und Elisabeth Zimmermann Kunstradio – Radiokunst vor und Ana Hoffner spricht mir Yasmina Haddad und Andrea Lumplecker über ihr Projekt school.

Gleichzeitig mit dem Magazin veröffentlichen wir die neue DVD-Edition mit Beiträgen von Marie-Thérèse Escribano, Manfred Grübl, Andreas Kurz, Philipp Quehenberger und Manfred Wakolbinger.